Siebenbürgen – die jüngere Vergangenheit
Fährt man heute durch das Land, stellt sich die Frage, was eigentlich von dem alten Siebenbürgen geblieben ist.
Der Mensch, besonders in den dörflichen Gegenden, ist noch immer mit der Natur eins und lebt auch noch heute mit ihr in einer im Westen unbekannten urtümlichen Verbundenheit. Der Siebenbürger, Sachse oder Ungar, ist mit einer geradezu schmerzlichen Liebe und mystischen Leidenschaft seiner Heimat verbunden. Von Kindheit an wird er geprägt von dem eigentümlichen sozialen Milieu, der Geschichte, dem Brauchtum, den düsteren Balladen und der reichen Sagenwelt seines Volkes. So lebt er z.T. noch immer in einer Gefühlswelt, die dem 19. Jhdt. verbunden ist. Sie stößt heute aber vielerorts auf eine Atmosphäre gewaltsamer Industrialisierung. Die in der neuen Zeit aus dem Boden gestampften Industriegebiete verschandeln die Natur und schlagen in sie grausame Wunden. Diese sind im Wesentlichen in den letzten Jahren der Ceausescu Diktatur, durch eine eigenartige Mischung von Faschismus und Kommunismus, sowohl in der Landschaft als auch in den Städten verursacht worden. Der Diktator vermochte glücklicherweise nicht, das ganze Land zu verwüsten. Einige Gebiete zeigen allerdings ein verheerendes Bild.
Weiterhin war Ceausescu auf dem besten Wege, auch die Kultur des Landes zu vernichten. Dazu gehörte der groß angelegte, mit allen bürokratischen Einzelheiten ausgearbeitete Plan der Dorfzerstörung, die so genannte Systematisierung der Landwirtschaft. Sie sah vor, jahrhunderte alte Dörfer mit ihren Kirchen und Friedhöfen, Kleinodien des Brauchtums und der Volksarchitektur, vom Erdboden verschwinden zu lassen.
Diese Aktion betraf fast ausschließlich die Minderheiten und sollte die ursprüngliche, nicht rumänische Kultur des Landes auslöschen. Hier hat die Abkehr von den sittlichen, kulturellen und humanistischen Werten einen Höhepunkt erreicht. Die Ceausescu Diktatur war eines der grausamsten und barbarischsten Regime der neueren Geschichte. Es ist hinlänglich bekannt, dass es der Bevölkerung Armut und Hunger brachte, dass es tausende politische Gegner quälte, folterte und umbrachte, während der Diktator verschwenderischen orientalischen Luxus entfaltete. Das Regime förderte die niedrigsten Instinkte der Menschen und richtete unermesslichen seelischen Schaden nicht nur bei seinen Gegnern, sondern auch bei seinen Anhängern an.
Mehrere große Volksgruppen bewohnen Siebenbürgen: Ungarn, Sachsen, Rumänen und Roma, die sich in verschiedenen Zeiten angesiedelt hatten. Nach den zeitgemäßen sittlichen Normen in der Welt ist es vom Gesichtspunkt des Lebensrechts unerheblich, welches Volk zuerst anwesend war. Sie lebten nebeneinander, miteinander, einmal in Freundschaft, manchmal in Feindschaft.
Es konnte bis zum ersten Weltkrieg jede Nation trotz mancher Widrigkeiten ihre Eigenart, die eigene Sprache, die Volkskunst, das Brauchtum und die Kultur, mit einem Wort, die Identität, bewahren. Nach der Volkszählung von 1910 betrug die Zahl der Bevölkerung in Siebenbürgen 5.257.467 – und zwar 53,8 % Rumänen, 31,6 % Ungarn und 10,5 Deutsche sowie 3,9 % sonstige Nationalitäten. Die Erfassung der Roma war damals wie heute schwierig und darum ist deren Anteil an der Bevölkerung zumeist Schätzungen anheim gestellt.
Nach der Abtrennung Siebenbürgens von Ungarn im Jahr 1918 veränderte sich in manchen Regionen das westeuropäische Bild des Landes. An vielen Stellen wurden seitdem fremd wirkende bombastische byzantinisch-orthodoxe Kirchen gebaut, auch wenn in der Umgebung nur wenige orthodoxe Gläubige wohnen. Sie sind zum Wahrzeichen und Symbol des rumänischen Nationalismus geworden. Nirgendwo in Osteuropa verband sich die griechisch-orthodoxe Kirche mit den kommunistischen Machthabern so eng wie in Rumänien. Eine traurige, unchristliche Rolle spielten einige Mitglieder des orthodoxen Klerus bei der chauvinistischen Hetze gegen die Minderheiten und standen bekanntlich im Dienste der Securitate. Geistliche und Priester der anderen Kirchen leisteten häufig passiven aber auch offenen Widerstand. Nicht wenige mussten ein Martyrium erleiden. Jedoch trug der von den nicht orthodoxen Kirchen ausgehende Widerstand gegen das kommunistische Regime wesentlich zu Ceausescus Sturz 1989 bei.
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